Kirchhellen
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Emotionale Heilung: Kirchhellen baut eine Brücke in die Ukraine

Der Krieg setzt den unzähligen betroffenen Ukrainern zu – vor allem emotional. Elle Schudek hat einen ganz eigenen Weg gefunden, mit ihrer Arbeit zu helfen.

Kirchhellen -

Das Heilpädagogische Zentrum Kirchhellen ist für Kinder, Jugendliche und deren Familien ein fester Anker. Zufällige und weniger zufällige Begegnungen in den vergangenen zwei Jahren führten dazu, dass Praxisleiterin Elle Schudek tiefe Verbindungen in die Ukraine pflegt und mit ihrer Arbeit den betroffenen Menschen hilft.

Basierend auf der personenzentrierten Gesprächspsychotherapie gibt es eine Methode, die sich Focusing nennt. 2018 bei einem Symposium trifft sie auf Professor Irina Sokolova, Lehrstuhlbeauftragte an der Fakultät für praktische Psychologie der Ukrainischen Akademie für Ingenieurpädagogik (UIPA). Gemeinsam fanden sie einen Weg, die Methode auch in die Ukraine zu bringen. Notwendiger denn je kann damit Menschen geholfen werden, besser mit Traumata und negativen Erfahrungen umzugehen.

Krieg, Bombardierung, die Zerstörung des eigenen Zuhauses, verletzte Familienmitglieder, Freunde und Bekannte, Flucht aus der eigenen Heimat – noch bevor all das durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zur Realität wurde, wollte Elle Schudek die so hilfreiche Methode weiter in der Welt verbreiten. Sie selbst hat als ehemalige Studentin an der UIPA eine enge Verbindung zur Ukraine. „Wir haben hier in Kirchhellen die Geschäftsstelle der deutschen Focusing Gesellschaft – wir machen es uns zur Aufgabe, Focusing in die Welt zu tragen“, so Schudek. „Vor zwei Jahren dann kam die Bitte, ob ich dabei unterstützen kann, dass sich Focusing mehr in der Ukraine verbreitet, um dort die Methode anwenden und lehren zu können.“ Schließlich hilft die Methode dabei, sich selber besser verstehen und mit Emotionen, die sich als körperliche Beschwerden äußern, umzugehen.

Hilfreicher denn je

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Über ein Jahr absolvierten Prof. Sokolova, Dr. Anna Kolchyhina, eine russische Doktorandin, die aktuell in der Schweiz lebt, sowie eine Tschechin das Basistraining online bei Elle Schudek. Im Februar dieses Jahres traf sich die Gruppe persönlich, um die nächste Stufe der Fortbildung zu absolvieren und führte das Training durch. „Schon da hat uns Prof. Sokolova berichtet, dass sich etwas zusammenbraut, es gab erste Anzeichen“, berichtet Elle Schudek. Eineinhalb Wochen später begann der Krieg.

Mehrfach äußerte Schudek Hilfsangebote, bis eine Teilnehmerin jenes tatsächlich annahm: Psychologin Dr. Anna Kolchyhina floh gemeinsam mit ihrer Tochter aus der Ukraine und machte sich auf den Weg nach Kirchhellen. Als qualifizierte Psychologin stellte Elle Schudek sie in ihrer Praxis an. „Der Online-Unterricht mit den anderen Teilnehmern gestaltete sich zunehmend schwieriger, da fortwährender Luftalarm die Sitzungen regelmäßig unterbrach“, so Schudek. Jetzt, Monate später, gestaltet sich Reisen ein wenig sicherer, sodass sich die Gruppe vor zwei Wochen in Kirchhellen treffen und die Fortbildung mit einer intensiven einwöchigen Lehrphase vor Ort abschließen konnte. Auf der dreitägigen Rückfahrt in die Ukraine wurden die Reisenden beschossen, konnten der Situation allerdings glücklicherweise wohlbehalten entkommen.

Das Herz ist gebrochen

Anna Kolchyhina kennt beide Perspektiven: Einerseits ist sie selber betroffen, ihr hilft Focusing, andererseits behandelt sie mithilfe der Methode. „Es ist sehr gut, wenn man erörtern kann, wie sich unser Körper äußert, wenn wir mit traumatischen Ereignissen umgehen müssen“, erklärt sie. „Ich kann hier leben und arbeiten, das ist toll! Aber meine Eltern sind noch in der Ukraine. Immer, wenn Menschen aus der Ukraine entkommen, ist das schwierig. Ich hatte ein gutes Leben in der Ukraine. Das ist jetzt meine Möglichkeit, nicht nur mir selbst, sondern auch anderen Betroffenen durch Focusing zu helfen.“

„Viele Geflüchtete sind dankbar, dass uns die Deutschen helfen, wo sie können – auch finanziell. Aber das Herz ist gebrochen. Mit Focusing kann geholfen werden, mit den eigenen Emotionen und traumatischen Ereignissen umzugehen“, erklärt Kolchyhina, die auch mit anderen aktuell in Kirchhellen lebenden Ukrainern in Kontakt steht. Durch ihr erlerntes Wissen versucht sie zu unterstützen, wo sie kann.

Jeder hilft, so gut er kann – Unter diesem Leitgedanken unterstützen die Frauen auf ihre Art und Weise, mit ihren Methoden, das Leid der Ukrainer ein wenig zu lindern. „Mit Irina Sokolova stehe ich in ständigem Kontakt. Diese Brücke soll in jedem Fall erhalten bleiben“, so Schudek.

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Aileen Kurkowiak

Aileen Kurkowiak

aileen.kurkowiak@aureus.de

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