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„Knapp vor dem Totalschaden“

Die Kirchhellener fühlen sich von der Bezirksregierung Arnsberg im Hinblick auf das Thema Bergbau allein gelassen – Der Abbau geht trotz Einwendungen weiter

Kirchhellen - In Kirchhellen gibt es wohl kaum noch jemanden, der entweder selbst von Bergschäden am Eigentum betroffen ist oder jemanden kennt, der Schäden an Haus und Hof zu verzeichnen hat. Und in Zukunft dürften sich wohl noch weitaus mehr Bürger Gedanken um Risse in den Wänden und Schieflagen ihrer Häuser machen, denn die Bezirksregierung Arnsberg legt in ihrem Gutachten „Senkungserscheinungen außerhalb prognostizierter Einwirkungsbereiche des Bergwerks Prosper-Haniel“ dar, dass die so genannte Nulllinie weiter gefasst werden muss als ursprünglich definiert.
 

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Bis auf den letzten Platz gefüllt war der große Saal des Brauhaus bei der Informationsveranstaltung der Bezirksregierung.
Foto: Gabriele Knafla

Das heißt, der untertägige Abbau von Kohle im Feld Kirchheller Heide hat doch weitreichendere Auswirkungen an der Oberfläche als bisher angenommen. Diese Ergebnisse einer langjährigen Betrachtung präsentierten Vertreter der Bezirksregierung Arnsberg im Januar im Kirchhellener Brauhaus. Und dort zeigten die Kirchhellener wieder einmal, wie groß ihr Interesse, vor allem aber, wie groß ihr Unmut über die derzeitigen Zustände ist. Bis auf den letzten Stehplatz gefüllt war der große Saal, aufgeheizt nicht nur die Stimmung der Bürger. In einem 20-minütigen Vortrag präsentierte Hauptdezernent Andreas Welz von der Bezirksregierung das von der TU Claustal erstellte Gutachten und machte deutlich, welche Maßnahmen und Konsequenzen aus diesem gezogen wurden. Ein Gutachten, das nach Meinung vieler Anwesenden längst überfällig war. Denn geahnt haben es viele, doch das jüngst erstellte Gutachten bestätigt diese Vorahnung nun Schwarz auf Weiß. Die signifikanten Bodenbewegungen sind auch über die Nulllinie hinaus zu erkennen und zwar um mehrere Zentimeter. Michael Kirchner, Leiter der Bergbauabteilung der Bezirksregierung sagt: „Nach dem von uns in Auftrag gegebenen Gutachten sind außerhalb des prognostizierten Einwirkungsbereiches von Ende 2003 bis Ende 2010 Bodensenkungen von bis zu acht Zentimetern hauptsächlich durch den Kohleabbau des Bergwerkes Prosper-Haniel verursacht worden.“

Geogene Ursachen, wie beispielsweise Klimaveränderungen oder Tektonik, können dabei ausgeschlossen werden. Vielmehr können anthropogene Ursachen und dabei vor allem die untertägige Gewinnung fester Rohstoffe für die Verschiebung verantwortlich gemacht werden. Im Zusammenhang mit dem Gutachten der TU Claustal wurde auch der Grenzwinkel, der bei der Berechnung eben jenes Einwirkungsbereichs zugrunde liegt, kritisch hinterfragt. Hier kam man allerdings zu dem Ergebnis, dass der Grenzwinkel als Berechnungswinkel richtig sei, allerdings nicht für den Bereich Bottrop-Kirchhellen geeignet ist. Mit dem Einsatz von Satelliten habe man schließlich festgestellt, dass die Bodenbewegungen über den prognostizierten Einwirkungsbereich hinausreichen würden. „Allerdings in einer Größenordnung, die überschaubar ist.“
 

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Manche Häuser sind durch Bergschäden so kaputt, da hilft nur noch der Abriss.
Foto: © Daniel Gast / pixelio.de

Verärgert äußerten sich die anwesenden Bürger nach dem Vortrag. Vor allem, dass der Termin erst im Januar stattgefunden hat, stieß auf Unverständnis. „Eine Informationsveranstaltung zu einem Sonderbetriebsplan zu machen, der eigentlich schon durch ist, weil die Frist für Einwendungen am 21. Dezember 2012 verstrichen ist, das ist schon ein starkes Stück“, sagt Stefan Heitmann vom Initiativkreis bergbaubetroffener Bürger (IBB). Und tatsächlich kann man hier schon nicht mehr nur von einem Fauxpas sprechen. Mit Terminschwierigkeiten versuchte die Bezirksregierung sich zu entschuldigen. Eine Entschuldigung, die die Bürger weder akzeptieren konnten noch wollten. Zudem seien trotz des späten Termins rund 400 Einwände eingegangen. Jede dieser Einwendungen wurde laut Bezirksregierung „sorgfältig auf ihre Bedeutung für die zu treffende Entscheidung geprüft“. Und dennoch, mit einer Betriebsplanzulassung hat die NRW-weit für Bergbau zuständige Bezirksregierung Arnsberg weiteren Kohleabbau durch das Bergwerk Prosper-Haniel der RAG Deutsche Steinkohle AG im Bereich der Stadt Bottrop genehmigt. Mit der Zulassung wurde weiterer Kohleabbau in zwei Abbaubetrieben gestattet, die in über 1.000 Meter Tiefe in den Flözen G1 und G2/F unter der Kirchheller Heide liegen. Um die Auswirkungen des untertägigen Abbaus auf die Tagesoberfläche zu mindern, wurde dem Bergwerk Prosper-Haniel auferlegt, die Kohlegewinnung in den beiden genehmigten Abbaubetrieben zu beschränken. So wurde unter anderem die zulässige maximale Abbaugeschwindigkeit für beide Betriebe mit dem Ziel begrenzt, dadurch schwere Bergschäden an der Tagesoberfläche zu vermeiden. Damit wird gleichzeitig auch die maximal mögliche tägliche Fördermenge begrenzt. Letztendlich habe die Prüfung ergeben, dass die Zulassungsvoraussetzungen unter Festsetzung verschiedener Auflagen erfüllt waren und daher die Zulassung des Betriebsplanes erteilt werden musste.

Ansprüche geltend zu machen, darum geht es den Bürgern zum einen, aber auch und vor allem um einen Stopp des weiteren Kohleabbaus. „Viele Schadensmeldungen von Bürgern sind von der RAG abgelehnt worden, weil sich die jeweiligen Häuser nicht im Einwirkungsbereich befänden. Mit dem aktuellen Gutachten ändert sich der Anspruch nun. Und darauf reagierte die RAG auch prompt. Ein Mitarbeiter der RAG meldete sich bei der Diskussion zu Wort und sagte: „Vor der Veröffentlichung des Gutachtens lagen uns 90 Anträge von Bürgern außerhalb der damalig festgelegten Nulllinie vor, diese haben wir nun angeschrieben. Denn natürlich werden wir für Schäden, die durch den untertägigen Abbau hier entstanden sind, aufkommen. Die Bürger müssen sich dabei keine Sorge um eine Verjährung machen.“

Der neu definierte Einwirkungsbereich schließt nun übrigens auch den Bereich Schultenkamp und Tappenhof mit ein. Hier sind in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Wohneinheiten entstanden und weitere Baugebiete stehen zur Bebauung bereit. „Hoffentlich wurde hier mit Bergschadenssicherung gebaut!“, hieß es aus den Bürgerreihen. „Die Eigentümer sind hier natürlich genauso gestellt, wie im „alten“ Einwirkungsbereich“, entgegnete die RAG.

Worte, die zumindest für ein wenig Erleichterung auf Seiten der betroffenen Bürger sorgen. Doch viele von ihnen wissen auch, was das heißt. Eine Schadensregulierung ist schließlich keine Frage von Tagen, sondern oftmals von Monaten. Auch dabei fehlt den Bürgern die Unterstützung der Bezirksregierung. „Wir kommen dann ins Spiel, wenn der Schaden knapp an den Totalschaden reicht“, sagt Andreas Welz. Da wunderte sich mancher Bürger. „Ich kenne ein Objekt, das wurde abgerissen, da hat sich keiner von Ihnen blicken lassen. Wenn das nicht ‚knapp an den Totalschaden reicht‘ dann weiß ich auch nicht“, hieß es aus dem Publikum.

Fest steht: Ein wirklicher Trost sind die Versprechen der RAG nicht. Denn auch wenn sie dafür Sorge tragen will, dass alle Bergschäden behoben werden, so sind es doch die Kirchhellener selbst, die unter den Auswirkungen weiter leiden müssen. Für die Bürger gibt es daher nur eine wirkliche Lösung: Der sofortige Abbaustopp! gk


Fachkräfte werden jetzt ausgebildet!

Die Fachhochschule Georg Agricola bildet als erste Hochschule in Deutschland künftig Experten rund um Bergwerksschließungen und Ewigkeitsaufgaben aus. Ab dem kommenden Sommersemester startet in Bochum der bisher deutschlandweit einzigartige Master-Studiengang „Geoingenieurwesen und Nachbergbau“. Die hier ausgebildeten Fachkräfte sollen in verantwortlicher Position die komplexen Vorgänge der Bergwerksschließung und Nachsorge planen und durchführen können. Auf dem Lehrplan stehen vor allem die sogenannten Ewigkeitsaufgaben und damit Themen wie Wasserhaltung, Schachtsicherung oder die Sanierung belasteter Flächen.
Der Master-Studiengang wird von der RAG-Stiftung unterstützt. Infos unter http://gb.tfh-bochum.de/geo_master_b.html

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