Kirchhellen
Das SOS Kinderdorf in Bottrop-Fuhlenbrock steht vor größeren Problemen in der Corona-Pandemie.
Ein Blick in den Corona-Alltag des Kinderdorfes "Am Köllnischen Wald"Foto: Privat - Kinderdorf "Am Köllnischen Wald"

Bottroper Kinderdorf im Lockdown

Häufig vergisst man, wie weitreichend die Folgen der Pandemie sein können - Auch was der Lockdown für ein Kinderdorf bedeutet, hat kaum jemand bedacht

Kirchhellen -

Während sich Familien um die Umsetzung des Homeschoolings kümmerten, steht das Kinderdorf vor ganz anderen Hürden.

Wir haben mit Thomas Evers, dem Leiter des Kinderdorfes “am köllnischen Wald” in Bottrop gesprochen, wie man dort mit der Situation umgegangen ist.

 

Familien geraten an ihre Grenzen, wenn die Berufstätigkeit mit der Betreuung der Kinder während des Homeschoolings kollidiert oder ganz einfach die technischen Möglichkeiten nicht gegeben sind. Außerdem spielt bei Kindern ein weiterer Aspekt eine wichtige Rolle, die stark an den Nerven zerrt: soziale Kontakte. All diese Faktoren, die schon oft beschrieben und auch in sämtlichen anderen Medien erklärt und beleuchtet wurden, sind schon für eine “normale” Familie eine Herausforderung. Da stellt sich die Frage: Wie läuft es dann wohl in Kinderheimen oder Kinderdörfern, in denen Kinder und Jugendliche in Wohngruppen leben und auf die Betreuung von Pädagogen angewiesen sind? Der Leiter des Kinderdorfes “am köllnischen Wald” Sozialpädagoge Thomas Evers hat uns Antworten auf unsere Fragen geliefert.

Inwieweit hat die Pandemie das Leben im Kinderdorf beeinflusst? Auf welche neuen Herausforderungen stoßen Sie?

Thomas Evers: Durch die Pandemie hat sich eindeutig sehr viel geändert! Wir haben mit vollem Einsatz dafür gearbeitet, einen ausgefeilten Pandemieplan zur Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln zu erstellen. Auf unserem rund 7.000 Quadratmeter großen Gelände gibt es insgesamt sieben Häuser mit je einer Wohngruppe bestehend aus 9 Kindern und Jugendlichen. Plötzlich musste einiges an Freizeitangeboten wegfallen. Auch der Kontakt mit Freunden aus einer anderen Wohngruppe, aus einem anderen Haus, war zur Einhaltung der Lockdownregelungen nicht mehr möglich. Jede Wohngruppe musste unter sich bleiben. Normalerweise gibt es natürlich häufig Besuche oder auch Übernachtungen bei Freunden eines anderen Hauses, all das musste allerdings wegfallen. Wir haben hier zwar die Möglichkeit, auf unseren weitläufigen Außenbereich zurückzugreifen, aber auch das ging natürlich nur unter Einhaltung der Abstände. So konnten sich die Kinder zwar sehen, aber gemeinsam etwas zu machen war gar nicht möglich.

Eine Situation, an die ich mich gut erinnern kann hing mit dem Thema Einkaufen im Lockdown zusammen. Wir erinnern uns alle zum Beispiel an die Toilettenpapier-Knappheit. Die Kinder selbst konnten nicht mehr einkaufen gehen, entsprechend mussten unsere Mitarbeiter Großeinkäufe für die Häuser tätigen. Mit beinahe keiner Möglichkeit zur Erklärung gab es teils drastische Anfeindungen in Supermärkten, da wir natürlich teilweise größere Mengen von einem Produkt benötigten.

Ist Homeschooling in den Einrichtungen gut umsetzbar?

Thomas Evers: Also im ersten Lockdown im vergangenen Jahr hat das Homeschooling schlecht oder teilweise sogar gar nicht funktioniert. Das hing tatsächlich mit mehreren Faktoren zusammen. Einerseits hatten wir zwar WLAN im Kinderdorf, allerdings ein Netz für alle Häuser. Entsprechend war häufig stabiles Internat das Problem. Außerdem ein ziemlich naheliegender Punkt: Die technische Ausstattung war einfach unzureichend. Es gab schlichtweg nicht genügend digitale Endgeräte für alle Kinder und Jugendlichen.

Die Möglichkeiten für das Homeschooling haben sich allerdings nun im zweiten Lockdown deutlich verbessert! Das WLAN im Kinderdorf ist jetzt stabil und es gibt für jedes Haus ein eigenes WLAN-Netz. Die Schulen und Lehrer sind inzwischen deutlich besser aufgestellt und es gibt eine viel strukturiertere Aufgabenverteilung - entsprechend muss weniger Unterricht ausfallen. Inzwischen stellen sogar einige Schulen digitale Endgeräte selbst. Außerdem konnten durch großzügige Spenden fünf neue Tablets angeschafft werden. Der technische Aspekt im Homeschooling ist allerdings nur ein Teil der Herausforderungen, mit denen auch unsere Mitarbeiter zu kämpfen haben. Ähnlich wie in Familien wurde unseren Pädagogen neben dem pädagogischen Auftrag nun auch der Lehrauftrag übertragen. Im Rahmen der Pandemie kam es auch bei uns aufgrund von Quarantänemaßnahmen zu Personalengpässen, weshalb die Beaufsichtigung bei digitalem Unterricht zunehmend schwieriger wurde. Auch die Aufmerksamkeitsspanne und Konzentrationsfähigkeit sind bei vielen unserer Kinder beeinträchtigt. Der Online Unterricht ist deshalb eine besondere Herausforderung. Doch auch ein positiver Effekt ist unbedingt zu nennen: Durch die erforderliche 1:1 Betreuung haben sich die Leistungen der Kinder deutlich verbessert.

Ist Abstand in den Wohn- und Gemeinschaftsräumen überhaupt möglich?

Die Corona-Pandemie im SOS Kinderdorf Am Köllnischen Wald in Bottrop-Fuhlenbrock
Foto: Privat - Kinderdorf "Am Köllnischen Wald"

Thomas Evers: Die einzelnen Wohngruppen kann man analog mit einer familiären Lebensgemeinschaft vergleichen. Das heißt, dass Abstände einhalten im Alltag nicht möglich ist. Insbesondere bei den jüngeren Kindern ist die körperliche Nähe nicht nur in Pflegesituationen erforderlich. Auch wir müssen von Zeit zu Zeit Quarantänemaßnahmen umsetzen. Im ersten Lockdown waren wir angewiesen, Kinder und Jugendliche unter Quarantäne komplett zu isolieren. Das ist inzwischen nicht mehr zulässig, was zwar den sozialen Aspekt berücksichtigt, allerdings auch ein erhöhtes Risiko für andere Bewohner und Mitarbeiter bedeutet.

Wie gehen die Kinder und Jugendlichen mit dem Lockdown um? Ist die Belastung bemerkbar?

Thomas Evers: Die Kinder und Jugendlichen gehen grundsätzlich gut mit dem Lockdown um, die Stimmung ist geprägt von ständigen Schwankungen. Die anfängliche Beschränkung des Aufenthaltes auf dem Gelände des Kinderdorfes haben wir unter Einhaltung bestimmter Vorgaben wieder gelockert. Die Belastung ist allerdings deutlich spürbar und äußert sich in vielfältiger Weise im Verhalten der Kinder - zum Beispiel durch Isolation, Impulsdurchbrüchen oder Selbst- und Fremdgefährdung. 

Mussten die vielfältigen Angebote des Kinderdorfes aufgrund des Lockdowns und der Kontaktbeschränkungen stark minimiert werden?

Thomas Evers: Im Kinderdorf sind die Kontaktmöglichkeiten eingeschränkt worden. Das gegenseitige Besuchen der Kinder in den Gruppenhäusern ist nicht mehr möglich. Im ersten Lockdown wurden Besuchskontakte mit den Eltern und Angehörigen zunächst ausgesetzt und waren dann eingeschränkt möglich. Zum Beispiel können Kontakte vorwiegend im Freien außerhalb des Kinderdorfes oder in Besprechungs- und Veranstaltungsräumen auf dem Gelände wahrgenommen werden.Diese Regelung gilt bis heute.
Besuche bei den Familien waren im ersten Lockdown nicht möglich. Die Beachtung der allgemeinen Abstands und Hygieneregeln ist eine Voraussetzung dafür, dass so etwas wieder funktionieren kann. Insbesondere Abstandsregeln können jedoch auch von den Familien nicht eingehalten werden. Mittlerweile haben wir die Möglichkeit die Kinder und Jugendlichen per Antigen Schnelltest zu testen, wenn sie nach den Besuchen in die Wohngruppe zurückkehren. Dies wird mit dem Einverständnis der Sorgeberechtigten bei Kontakten ab zwei Übernachtungen umgesetzt.

Zum Teil haben Eltern und Angehörige die Besuche abgesagt, weil sie Risikopatienten sind oder auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind. Die Reaktionen der Kinder auf diese Enttäuschungen fallen unterschiedlich aus und reagieren mit Wut, Trauer oder auch Verständnis.

Dass der Kontakt zu den Familien stabil bleibt, ist unser großes Anliegen. Die Kinder und den Jugendlichen in den Wohngruppen haben fast alle Familien und Eltern, nur das Zusammenleben funktioniert eben aus verschiedenen Gründen nicht. Im Kinderdorf wollen wir kein Familienersatz sein, denn die Familien gibt es ja. Entsprechend darf hier die Bindung nicht verlorengehen.

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Aileen Kurkowiak

Aileen Kurkowiak

aileen.kurkowiak@aureus.de

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