Gladbeck
Sina Mind (links) engagiert sich schon seit einigen Jahren ehrenamtlich.Foto: Valerie Misz

Einsatz gegen Altersarmut und Einsamkeit bei Senioren

Die Gladbeckerin Sina Mind engagiert sich schon seit einigen Jahren für Menschen in sozialer und finanzieller Not - Sicherer Hafen unter Gleichgesinnten zum Plaudern und gemeinsame Unternehmungen

Gladbeck -

Liki - Der ein oder andere hat das Wort sicher schon mal gehört, doch viele Bürger in Gladbeck kennen diese Institution gar nicht. Dabei hilft diese vielen Menschen aus ihrer Einsamkeit aufgrund von Altersarmut. Denn viele gerade ältere Menschen leben am Rande des Existenzminimums, sind aber nicht für die Tafel berechtigt, weil sie knapp über dem Schnitt liegen oder, und auch das ist nicht selten, schämen sich den Gang zur Tafel oder Ämtern zu machen.

Die Initiative Liki, eine Abkürzung für Lichterkinder, wurde während Corona 2020 von Sina Mind gegründet. „Mir gab es damals zu wenige Angebote in Gladbeck für Kinder, eigentlich gab es gar keine“, erklärt die 39-jährige den Start der Lichterkinder.“Wir haben zuerst den St. Martinsumzug gemacht und danach quasi den Verein gegründet und ihn als gemeinnützig anerkennen lassen“, so Mind.

Corona Pandemie gab den Startschuss

Im 3Eck ging es dann seinerzeit weiter mit einem Kinderchor und Workshops für Kinder und Jugendliche. Irgendwann suchte man dann aber nach eigenen Räumlichkeiten, die dann auch gegenüber vom City Center auf der Hochstraße schnell gefunden wurden. „Eigentlich war dann hier ein Schülercafé für alle Generationen geplant, unter anderem auch für Kinder ohne Kita-Platz um die Eltern zu entlasten, z.B. bei Einkäufen oder Friseurbesuche“, erklärt Sina Mind die eigentlichen Pläne für die Räumlichkeiten. Zudem war eine Hausaufgabenbetreuung, eine Chill Ecke für Jugendliche also ein „Place-to-be“ für alle Altersklassen angedacht.  „Wir hatten ein ziemlich großes ehrenamtliches Team mit unter anderem vier Erziehern und  auch mehrere Integrationskräfte, die das betrieben hätten“, so die engagierte Mutter. Das Ganze wurde aber aufgrund des fehlenden Außengeländes abgelehnt.

Der Raum stand daraufhin brach, da sich eine Renovierung der Räumlichkeiten nicht gelohnt hätte.  „Die Kuh war somit eigentlich vom Eis und mehr oder weniger erledigt“, so Mind. Doch dann brach der Krieg in der Ukraine aus. An einem Tag klingelte dann bei Sina Mind das Telefon. Mitbürger hatten sich aufgrund ihres Engagement während der Flutkatastrophe im Ahrtal an sie erinnert. Bereits damals hat Sina die Gladbecker Fluthilfe mitbegründet und den betroffenen Menschen im Flutgebiet tatkräftig mit dem Sammeln von Sachspenden und Lebensmitteln geholfen.

Ukraine Hilfe

Bei dem Anruf ging es um eine ukrainische Familie mit drei Kindern und den beiden Großmüttern, die in Gladbeck kurzfristig untergebracht werden mussten. Sina Mind wandte sich daraufhin an den Vermieter der Räumlichkeiten Markus Kaiser, der diese bis dato kostenfrei an die Initiative vermietet hatte, in der Hoffnung, die Familie dort unterzubringen. Doch Kaiser hatte eine bessere Idee und organisierte über einen Freund eine geeignete Wohnung, die auch sofort bezogen werden konnte. Allerdings fehlten nun noch Möbel, also das nächste Problem. „Wir gefühlt 24 Stunden rumgefahren und haben Möbel organisiert“, sagt sie über die schwierige Zeit, „dass da das Nötigste drin war.“  Sie, das ist auch ihr Freund Stefan Langhoff, Betreiber der Rex Event Gladbeck UG, der sie bei allem tatkräftig unterstützt.

Darüber entstand dann auch der Kontakt zu den Foodsharern in Gladbeck. Die boten sich an, Lebensmittel für die Familie bereitzustellen, bis die Ersthilfen anlaufen.  Die Menge der Lebensmittel wurde von Sina Mind aber unterschätzt. Aufgrund der Menge mussten Räumlichkeiten her, um Kühlschränke zum Lagern der Lebensmittel zu beherbergen. Mittlerweile waren allerdings bereits circa zehn ukrainische Familien in Gladbeck, eine noch überschaubare Menge. Zu der Zeit gab es in Gladbeck keine Tafel, über die die Versorgung ansonsten gelaufen wäre.

Erst mal wurden die Kühlschränke dann als Notlösung im Tunnel am Rex-Kino aufgestellt. Die Menge an Lebensmitteln „war aber utopisch in Kühlschränke unterzubringen“, lacht Sina Mind aufgrund der damaligen Naivität. Also wurden die Lebensmittel an die Ukrainer verteilt und an Passanten, einfach um nichts verkommen zu lassen. „Es war direkt klar, die Lebensmittel kommen jetzt jeden Tag, aber der Standort ist dafür nicht geeignet“, so die 39-jährige. Also trat sie erneut an Markus Kaiser heran und fragte ihn, ob er auch mit dieser neuen Idee konform geht, das zu unterstützen. Aber auch da gab es direkt grünes Licht und die Räumlichkeiten konnten weiter genutzt werden.

Festes Team blieb

Gestartet wurde dann mit drei Kühlschränken und zwei Tischen.  „Trotzdem haben wir so viele Lebensmittel bekommen, dass wir immer noch Tetris spielen mussten“, so Mind über die Anfangszeit. Am Ende war man bei 18 Kühlschränken und zahlreichen Tischen um die Berge an geretteten Lebensmittelspenden unterzubringen. „Unfassbar, was alles entsorgt wird“, sagt die dreifache Mutter schockiert. Zumal alle Lebensmittel in guter Qualität dort ankommen.

Knapp drei Monate wurden dort dann die ukrainischen Familien versorgt. „Wir haben Haushaltsauflösungen gemacht, alles umsonst, um Möbel zu besorgen, die wir dann den Ukrainern zur Verfügung gestellt haben.“  Bis zu 900 Menschen standen irgendwann regelmäßig vor der Tür. Dabei waren zu Sina Minds Bedauern aber auch Einige, „die dafür gesorgt haben, dass ich das heute so nicht mehr machen würde.“ Aber ein festes Team von Ukrainern ist dabei geblieben, „für die würde ich durchs Feuer gehen und umgekehrt auch.“ Viele Freundschaften sind darüber entstanden. Als die Hilfen für die ukrainischen Flüchtlinge anliefen war das ein guter Zeitpunkt für Sina „ an dem ich hier ein Ende finden kann.“

Hilfe für Senioren

Die Lebensmittellieferungen kamen aber weiterhin. Daher hatte Sina Mind die Idee, stattdessen die Senioren „abzufangen“, damit diese nicht „mit Stock und Rollator zur Tafel nach Bottrop fahren mussten.“  Um die 250 Menschen, alle Ü65, holten  sich hier zweimal in der Woche Lebensmittel ab. Im November 2022 hieß es dann, die Tafel in Gladbeck macht auf.  „Eigentlich dachte ich da, das ist das Ende des Projektes“, so Sina Mind. War es aber nicht!

Es kristallisierte sich heraus, dass viele der Senioren gar keinen Anspruch auf die Tafelkarte haben, weil sie knapp über dem Satz liegen. Zudem „verhungern viele lieber, bevor sie sich öffentlich ans Tafel Mobil stellen“, erklärt Sina die Situation. Aber auch der Rahmen, in dem die Versorgung im Liki stattfindet, kommt bei den Senioren gut an. „Wir sitzen hier zusammen, trinken Kaffee und das ist für viele fast  wichtiger als die Lebensmittel, die sie bekommen“, weiß die 39-jährige aus der Erfahrung der letzten Jahre. Ungefähr 70 der ehemaligen Nutzer sind so geblieben, die Anderen haben nach und nach die Tafelkarte bekommen und sind gewechselt.

Begegnungen mit bleibendem Eindruck

Einige der Begegnungen mit den Menschen dort gehen Sina Mind immer sehr nahe. Ein Beispiel ist die ältere Dame, die in einem Lebensmittelgeschäft in der Innenstadt vor Sina an der Kasse stand. Die Dame hatte zwei Joghurts in ihrem Einkaufswagen.  Der Gesamtpreis der Joghurts betrug gerade mal 1,10 Euro. Die ältere Frau war im Glauben, die Joghurts wären bereits auf 33 Cent reduziert, nach Aussage der Kassiererin aber erst am darauffolgenden Tag. Also legte die Frau die Ware wieder zurück und verließ den Laden. Mind kaufte die Joghurts, folgte der Frau und sprach sie an. „Rotz und Wasser hat sie dann geheult, als ich ihr die zwei Joghurts gab“, sagt Sina immer noch betroffen, „jetzt habe ich doch noch was für mein Knäckebrot.“ Der Joghurt war praktisch der Belag, ohne den sie das Knäckebrot ansonsten trocken gegessen hätte. Damit war das Bauchgefühl der empathischen Sina bestätigt. Sie erzählte der Dame vom Liki und lud sie ein, doch selbst einmal vorbeizuschauen.  Doch der Stolz ließ das Hilfsangebot nicht zu, sie gab vor, irgendwie immer klarzukommen. Irgendwie schaffte Sina es dann doch sie in das Liki zu lotsen, wo sie sich einige wenige Lebensmittel, darunter einen Blumenkohl und etwas Fleisch,  aussuchte und „ dabei so geheult und geschluchzt hat, dass ich dachte ich müsste ihr einen Krankenwagen rufen“, sagt Sina immer noch erschüttert über diese erste Begegnung. Dabei gab sie an, dass sie seit sechs Jahren keinen Blumenkohl und Fleisch mehr gegessen habe, weil das viel zu teuer ist.

Lieber mal einen Eisbecher gönnen

Mittlerweile ist der Knoten geplatzt und sie kommt regelmäßig zum Kaffee trinken und Plausch mit anderen Gleichgesinnten. Dass alle im „gleichen Boot“ sitzen, hilft aus dem Kreislauf der Einsamkeit auszubrechen, den die Altersarmut für viele Menschen mit sich bringt. Die wichtigste Botschaft für Sina ist daher auch „es können und sollen alle kommen, keiner muss sagen warum, es ist auch nicht wichtig, wenn sie nicht für die Tafel berechtigt sind.“ Nur weil sie einen Tick über dem Satz sind, dürfen sie sich so ruhig das Geld für Lebensmittel sparen und sich dafür „Gott verdammt lieber mal einen Eisbecher gönnen“, betont die 39-jährige ihre Ansicht. Die Teilnahme am sozialen Leben ist für sie wichtiger. Zwischendurch muss man einfach auch mal  etwas für die Seele tun. Generell ist das Liki zweimal in der Woche geöffnet, ohne dass es Lebensmittel gibt, einfach als Möglichkeit, sich in geselliger Runde auszutauschen. In der Liki-Familie, wie Sina sie liebevoll nennt, wird regelmäßig etwas gemeinsam unternommen, wie zum Beispiel das Frühstück im Café Alessio oder Ausflüge.

Man bekommt dort keine fertig gepackten Tüten, sondern darf sich selbst aussuchen, was man möchte. Auch das um zu vermeiden, dass nicht gewünschte Lebensmittel im Müll landen. Das wäre den Foodsharern gegenüber auch nicht fair, die mehrere Stunden in der Woche für die Rettung  der Lebensmittel ehrenamtlich opfern. Seit fast drei Jahren unterstützen Harald Franken und David Rutten die Liki-Familie durch diese Arbeit. „Insbesondere ohne Harald gäbe es das Liki schon lange nicht mehr“, ist Sina dankbar.  

Anonymität gewährleistet

Die Lebensmittelausgabe ist dienstags und  freitags von 9.30 bis 11 Uhr, das „Place to be gegen Einsamkeit“ mittwochs und donnerstags von 10 bis 12 Uhr. Wer Sorge hat zu diesen Öffnungszeiten dort hinzukommen, aber die Lebensmittel braucht kann unter liki-gladbeck@gmx.de Sina Mind direkt anschreiben und einen individuellen Termin vereinbaren, wo dann kein Mensch dort gleichzeitig ist, um sich das Ganze einfach mal anzuschauen, anonym  ohne gesehen zu werden.

Als Fazit bleibt am Ende: Keiner muss sich schämen, nicht genug Geld im Alter zu haben, das ist ein gesellschaftliches Problem. Aber die Hilfe ist da, man muss nur den Mut haben, sie anzunehmen und den ersten Schritt zu machen. Im Gespräch und in der Gemeinschaft von Gleichgesinnten lässt sich die Situation wesentlich besser ertragen und Einsamkeit vermeiden. Also: Wenn sie selbst in einer Situation sind, wo ihnen das Geld an allen Ecken und Enden fehlt, sie kein Geld für Kleinigkeiten haben, die einem eine kleine Freude im Alltag bringen oder auch einfach nur einsam sind, dann scheuen sie sich nicht und wagen den Schritt ins Liki.

 

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Nicole Gruschinski

Nicole Gruschinski

n.gruschinski@aureus.de

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