Auf mehr als 370 Seiten schildert Ralph Eberhard Brachthäuser den Schrecken, den die sowjetisch-kommunistisch geprägte Ruhrarmee in Gladbeck verbreitete. Die Idee zu seinem neuesten Buch entstand nach Fertigstellung seines Werks über den ersten Gladbecker Stadtrat von 1919 – das Jahr der Gladbecker Stadtwerdung. „Für mein erstes Buch habe ich mich viel mit dem Gladbecker Priester Johannes van Acken beschäftigt, der in Gladbeck nicht nur als Seelsorge, sondern auch als Politiker im Stadtrat tätig war. Er hat sich überhaupt für vieles in unserer Stadt eingesetzt, darunter auch die Kirchenbauten der Herz Jesu und der Heilig Kreuz Kirche“, erzählt Ralph Eberhard Brachthäuser. Er selbst war bis vor elf Jahren Pfarrer in der Heilig Kreuz Kirche und somit auch der letzte Pfarrer in dieser Kirche. Er ist aber auch Kirchenhistoriker und Verfasser zahlreicher historischer Aufsätze. „Während meiner Recherchen ist mit aber auch aufgefallen, dass es wenig niedergeschriebene Geschichte aus dem Gladbeck der 1920er gibt. Während ich mich mit Johannes van Acken und seiner Tätigkeit im Gladbecker Stadtrat zwischen 1919 und 1924 befasst habe, stieß ich auf die zwei Wochen, in denen Gladbeck unter dem sogenannten Roten Terror stand“, berichtet der Pfarrer und tauchte somit in ein trauriges Stück Gladbecker Geschichte.
Der Berliner Kapp-Putsch und die Rote Ruhrarmee
Kurz nach der Gründung der Weimarer Republik zettelten Ablehner der demokratisch-republikanischen Staatsform in Berlin den „Kapp-Putsch“ an. Ziel war es, eine autoritäre Regierungsform zu errichten, die sich an der Monarchie der Kaiserzeit orientierte. Wenige Tage nachdem der Regierungs-Putsch in Berlin bereits beendet war, rollte die Rote Ruhrarmee auch über das Ruhrgebiet. Ralph Eberhard Brachthäuser erklärt: „Man muss sich vorstellen: Damals war die demokratisch-freiheitliche Grundordnung gerade einmal neun Monate alt. Dinge wie die regionale Sicherheit wurden damals noch anders verwaltet, denn Institutionen wie die Polizei beispielsweise wurde nach dem militärisch geprägten Kaiserreich, das bis 1918 bestand, bis ins Jahr 1923 lokal geregelt. Das heißt, dass es im Verhältnis zu den Bürgern einer Stadt nur wenige Polizisten gab und so wurden von der Regierung legitimierte Einwohnerwehren gegründet. In diesen Einwohnerwehren beteiligten sich alle vom Bergbauarbeiter bis hin zu Männern aus Führungspositionen des Bergbaus – die interessanterweise dann in der Einwohnerwehr durchaus ihren Unterstellten plötzlich selbst unterstellt waren. Aber auch Politiker, Stadträte, Händler, Soldaten und auch die jüdische Gemeinschaft in Gladbeck waren Teil der Einwohnerwehr.“ Die Einwohnerwehr habe es im März 1920 dann auch geschafft, den Einmarsch der Roten Ruhrarmee in Gladbeck um einen Tag zu verzögern. Der Kirchenhistoriker erzählt weiter: „Bei ihrem ersten Versuch, Gladbeck einzunehmen, waren die Soldaten der Roten Ruhrarmee nicht erfolgreich, kamen dann aber in der darauffolgenden Nacht schwerst bewaffnet zurück. Da musste sich dann auch die Gladbecker Einwohnerwehr zurückziehen, denn einer solch schweren Übermacht konnte sie nicht standhalten.“ Es sollte dann noch gut 14 Tage dauern, bis die Demokratie in der Stadt wiederhergestellt wurde.
Plünderungen, Zerstörungen, Todesfälle – Die Stimmung in Gladbeck
„Die Stimmung 1920? Ja. Die war traurig“, fasst Ralph Eberhard Brachthäuser die zwei Wochen zusammen. Die Rotgardisten der Ruhrarmee hatten Gladbeck komplett in der Hand, der Bürgermeister sowie die Stadträte wurden ihrer Ämter enthoben. Eine demokratische Stadtregierung gab es nicht mehr. „Man darf auch nicht vergessen, dass sich das Ganze nur etwa eineinhalb Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges zugetragen hatte. Trotzdem stand nach dieser kurzen Zeit das kulturelle Leben der Stadt in seiner vollen Blüte – bis zum März 1920. Dann kam es zum völligen Erliegen.“ Dann kam auch noch eine Lebensmittelnot hinzu und bald darauf wurden die Gladbecker Geschäfte von den Rotgardisten geplündert. Der Autor erzählt weiter: „Die Rotgardisten sind mit großer Gewalt und auch mit großer Waffengewalt vorgegangen. Augenzeugenberichten zufolge kamen sie auch zu den Sitzungen des Stadtrates schwer bewaffnet, unter anderem mit Handgranaten, die an ihren Gürteln steckten.“ Ähnlich gewalttätig verliefen die Plünderungen der Geschäfte. Selbst in der Stadtzeitung, die sie für die zwei Wochen unter ihre Kontrolle brachten, wurde der Sowjet-Kommunismus gelobpreist.
„Die zwei Wochen waren eine Zeit, die in einem sozialdemokratischen Zeitungsartikel als „Es war zum Schreien“ bezeichnet wurde. Häuser wurden zwar nicht vollständig zerstört, wurden aber durch Schusswechsel beschädigt und neben menschlichen Verlusten auf beiden Seiten hat es auch Zivilisten getroffen, die die Besetzung nicht überlebt haben. Unter ihnen war beispielsweise eine fünffache Mutter, die von einer Kugel getroffen wurde. Oder auch ein Arbeiter, der nach der Nachtschicht morgens nach Hause kam und vor seiner Haustür von einer Granate getroffen wurde“, lauten die Erkenntnisse von Ralph Eberhard Brachthäuser.
Der 3. April: Die Befreiung
Der Kirchenhistoriker weiß: „Die letzten Tage vor der Befreiung durch Regierungseinheiten waren chaotisch. Um die Schäden der Händler zu verringern, wurden Notgeldzettel von der Stadt an die Rotgardisten ausgeteilt, mit denen sie Ware von den Händlern bekamen. Diese Notgeldzettel haben sie wiederum später der Stadt zurückgegeben und bekamen das Geld erstattet.“ Auch große Lieferungen an Lebensmitteln wurden nach der Besetzung an die Bevölkerung gespendet, um die entstandene Lebensmittelnot einzudämmen.
Am Morgen des Karsamstags 1920 trafen dann aber die durch die Regierung legitimierten Einheiten unter Wilfried von Loewenfeld in Gladbeck ein. „Anders als beschrieben dauerte das Befreiungsgefecht nicht nur zwei Stunden. Die Gefechte begannen im Gladbecker Norden und endeten am darauffolgenden Montagmorgen im Süden der Stadt. Verluste verzeichneten beide Seiten Nach der Befreiung aber war die Stimmung durchweg ausgelassen“, erzählt der Autor. Gut einen Monat verbrachten die Soldaten noch in Gladbeck, man feierte zusammen. Die Bürger veranstalteten Theateraufführungen für die Soldaten, die im Gegenzug mit ihrer Kapelle für die Gladbecker spielten. Die Soldaten absolvierten auch ein militärisches Leistungstraining. Das war ein Lauf von Gladbeck über Horst und Bottrop zurück nach Gladbeck. An den Straßenrändern haben die Menschen gestanden, gejubelt und gefeiert, berichtet Ralph Eberhard Brachthäuser.
Ein Stückchen Gladbecker Geschichte für zuhause
„In meinem Buch habe ich mich dann auch dem Nachgang der Besetzung gewidmet. Sowohl die juristische Aufarbeitung als auch die die Verurteilungen durch die militärischen Standgerichte werden thematisiert“, verrät der Autor. Neben den geschichtlichen Stücken seines Buches hat er sich vor allem auch den Menschen hinter den Organisationen gewidmet. Gut 330 Akteure werden namentlich genannt und, sofern möglich, mit kleinen Biographien und Biogrammen versehen. Einzelschicksale, wie das der fünffachen Mutter, die ihr Leben verlor, oder das des Arbeiters, der auf dem Heimweg einer Granate zum Opfer fiel, werden erzählt.
Das Buch „Roter Terror. Gladbeck in der Märzkrise 1920“ ist beim Verlag Mainz erschienen und dort unter der ISBN 978-3-8107-0338-5 zu einem Preis von 19,80 Euro erhältlich. Interessierte finden es aber auch im Stiftshaus Gladbeck, in der Gladbeck Information sowie in fast allen Buchhandlungen. Das Stiftshaus Gladbeck ist telefonisch unter (02043) 789935 und die Gladbeck Information ist unter (02043) 992244 erreichbar.