Gladbeck - „Kein Mensch verlässt seine Heimat ohne Gründe dafür zu haben“, sagt Pfarrerin Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup. „Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, haben oft Schlimmes erlebt, wurden massiv verfolgt, vergewaltigt oder lebten in Kriegsgebieten und am Existenzminimum.“ Diesen Menschen, die keine andere Möglichkeit sahen, als ihre Heimat zu verlassen, bietet der Evangelische Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Gladbeck eine Anlaufstelle. „Wir sind eine von den Behörden völlig unabhängige Einrichtung und das ist in diesem Bereich auch richtig und wichtig“, sagt die Pfarrerin.
14.463 Asylanträge gingen im Januar 2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein. Nach Artikel 16a des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland genießen politisch Verfolgte Asyl. Politisch ist eine Verfolgung laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dann, „wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn in ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Das Asylrecht dient dem Schutz der Menschenwürde in einem umfassenderen Sinne.“ Doch nicht jede Situation ist asylrelevant. Allgemeine Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit sind als Gründe für eine Asylgewährung ausgeschlossen.
Doch welche einzelnen Schicksale und Menschen verbergen sich tatsächlich hinter der hohen Zahl der Asylanträge. „Die Menschen fliehen, weil sie in Bedrängnis sind. Bei den Flüchtlingen, die zu uns kommen, handelt es sich zum Beispiel oft um religiös Vefolgte aus dem Iran. Jemand, der im Islam zum Christentum konvertiert, kann dort dafür hingerichtet werden“, erklärt Pfarrerin Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup.

Foto: Jana Golus
Und nicht nur die Gründe für die Flucht aus der Heimat sind oft menschenverachtend, sondern auch die Flucht selbst. Viele dieser Schicksale kennt die Pfarrerin aus den Erzählungen der Asylbewerber. „Eine iranische Familie schilderte mir ihre Flucht, bei der sie von der Türkei nach Griechenland mussten. Sie haben alles, was sie besaßen einer Schlepperorganisation gegeben, damit die sie in einem Boot mitnahm. Unterwegs verlor ihr Boot aber Luft und sie wiesen die Schlepper darauf hin. Die steuerten auch den Strand an und sagten, sie würden es reparieren. Weiter fuhr die Familie durch glückliche Umstände auf einem anderen Boot, denn die Schlepper hatten das erste Boot nicht repariert und die Iraner mussten mit ansehen, wie die acht Menschen auf dem Boot, auf dem auch sie zuerst saßen, ertranken. Sie sind wirklich knapp dem Tod entkommen“, erzählt die Pfarrerin.
Diesen und anderen Flüchtlingen bietet die Flüchtlingshilfe unter der Leitung von Pfarrerin Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup Hilfe. Diese Hilfe besteht vor allem in der Begleitung während des Asylverfahrens. „Wir nehmen uns lange Zeit, um den Menschen zuzuhören, warum sie ihr Land verlassen haben. Außerdem vermitteln wir traumatisierte Flüchtlinge an Psychologen und Asylbewerber, deren Erstantrag gescheitert ist, an Rechtsanwälte. Meiner Erfahrung nach wird nur ein ganz kleiner Teil der Asylsuchenden anerkannt“, sagt die Pfarrerin. „Wird ein Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt, wird der Fall vor dem Verwaltungsgericht verhandelt.“ Aber nicht nur psychologischen und rechtlichen Beistand erhalten die Flüchtllinge im Dietrich-Bonhoeffer-Haus. „Wir versuchen die Flüchtlinge ins Gemeindeleben zu integrieren. Viele von ihnen arbeiten hier im Café und auch einen Deutschkurs bieten wir ihnen an“, sagt Pfarrerin Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup. „Wir versuchen ihnen einen Ort zu schaffen, wo sie ganz normal mit uns zusammen leben können.“ Etwa 12 Familien betreuen die 30 ehrenamtlich Engagierten hier derzeit. Diese Familien kommen aus Nigeria, Bosnien, Serbien, dem Iran, Ägypten und Tschetschenien. „Unsere Arbeit finanziert sich vollständig durch Spenden“, sagt die Pfarrerin. Aber auch die in Deutschland anerkannten Asylbewerber, denen hier geholfen wurde, tragen oft dazu bei, dass weiteren Flüchtlingen geholfen werden kann. „Sobald sie arbeiten dürfen und Geld verdienen, zahlen sie uns oft Geld zurück. Wir erwarten das nicht, aber meistens ist das wirklich selbstverständlich“, erklärt Pfarrerin Reile Hildebrandt-Junge-Wentrup.
Nicht immer ist die Arbeit der Ehrenamtlichen erfolgreich. „Wir versuchen wirklich alles, damit wir es nicht oft erleben, dass jemand zurück muss, aber es passiert und dann ist das wirklich bitter“, sagt die Pfarrerin. Dann heißt es Abschied nehmen und das fällt den Ehrenamtlichen schwer. „Wir sprechen dann viel miteinander. Das Wichtigste ist für uns, dass wir dann und wann noch etwas von den Flüchtlingen hören und weiterhin Kontakt mit ihnen haben. Außerdem unterstützen wir sie weiter, wenn es möglich ist.“ go