Foto: © ARD Degeto/Ziegler Film/Martin Valentin Menke

Das Geiseldrama von Gladbeck als Spielfilm

Die Geschichte um das Geiseldrama von Gladbeck wird am 7. und 8. März 2018 als Zweiteiler in der ARD laufen

Gladbeck - Im August 2018 jährt sich der brutale Überfall der beiden Gangster Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski auf eine Bankfiliale in Gladbeck und die anschließende Geiselnahme zum 30. Mal. Dies nimmt die ARD zum Anlass, Anfang März einen zweiteiligen Spielfilm und eine begleitende Dokumentation zu zeigen.

Das Gladbecker Geiseldrama zählt bis heute zu den spektakulärsten und gleichzeitig dramatischsten Verbrechen der Nachkriegsgeschichte. Nachdem die Berufskriminellen Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski um kurz vor 8 Uhr morgens die Deutsche-Bank-Filiale in Gladbeck überfallen haben, eskaliert die Situation. Die Täter nehmen zwei Bankangestellte als Geiseln. Am Abend gewährt ihnen die Polizei den beobachtungsfreien Abzug mitsamt der Geiseln und 300.000 Mark Lösegeld im Fluchtauto. Eine blutige Irrfahrt beginnt. 54 Stunden lang hält das Geiseldrama die Republik in Atem – und Millionen Zuschauer sind live am Fernseher dabei. Kein anderes Verbrechen steht so sehr für mediale Grenzüberschreitung und polizeiliches Versagen. Drei Menschen kamen dabei ums Leben, die Familienangehörigen der Toten wie die überlebenden Geiseln leiden noch heute unter dem Trauma.

30 Jahre ist das nun her. Vielen Gladbeckern sind die Bilder der Tat immer noch präsent. Nun wird die Geschichte in Form eines zweiteiligen Films aufgearbeitet. Der Zweiteiler „Gladbeck“ läuft am 7. und 8. März jeweils um 20.15 Uhr im Ersten. Gefördert wurde das Projekt von der Film- und Medienstiftung NRW, der Filmförderung der MFG Baden-Württemberg und der nordmedia –Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen. Gedreht wurde von Juli bis Oktober 2016 in Köln, Gladbeck, Bremen, Duisburg und Düsseldorf. In den Hauptrollen sind Sascha Alexander Geršak als Hans-Jürgen Rösner und Alexander Scheer als Dieter Degowski zu sehen.
 

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Sascha Alexander Gersak und Alexander Scheer spielen die Geiselgangster.
Foto: © ARD Degeto/Ziegler Film/Martin Valentin Menke

Ein kritisches Zeitbild

„Der zweiteilige Fernsehfilm orientiert sich an den tatsächlichen Geschehnissen und gerade deswegen kann man kaum glauben, was man sieht. Man fragt sich, was in den Menschen vorgegangen ist, die sich auf diese gierige Jagd nach dem ultimativen Bild, nach dem Interview mit den Verbrechern und den zu Tode geängstigten Geiseln begeben haben“, sagt Volker Herres, Programmdirektor des Ersten Deutschen Fernsehens. „Umso wichtiger erscheint uns die filmische Aufbereitung des Geschehens: Der Zweiteiler ‚Gladbeck‘ zeigt schonungslos die um die besten Bilder wetteifernden Journalisten, ebenso wie das Versagen der Polizei und vor allem auch das Kalkül der damals verantwortlichen, politisch handelnden Personen. ‚Gladbeck‘ ist ein äußerst kritisches Zeitbild, eines, das der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Der Film ermahnt uns, genau hinzuschauen, und er ermahnt uns vor allem, sich in entscheidenden Momenten nur für die Menschlichkeit zu entscheiden.“

Geiselgangster Hans-Jürgen Rösner, der in der Justiz­vollzugsanstalt Aachen seine Strafe absitzt, hatte schon während der Dreharbeiten versucht, eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Sein Anwalt argumentierte, dass eine Veröffentlichung des Films eine mögliche Wiedereingliederung in die Gesellschaft erschwere. Doch die Klage blieb vor dem Oberlandesgericht Köln erfolglos. Hans-Jürgen Rösner kündigte an, den Spielfilm kritisch zu beobachten und im Nachgang gegebenenfalls juristische Schritte einzuleiten. Rösner, der 1991 vom Landgericht Essen zu einer lebenslangen Haft verurteilt wurde, bemühe sich zurzeit um eine Überstellung in den offenen Vollzug. Sein Komplize Dieter Degowski steht kurz vor einer vorzeitigen Entlassung.    

Bürgermeister schaut sich den Film an

Auch ein bekannter Zuschauer wird Anfang März vor dem Fernseher sitzen, wenn der Zweiteiler läuft: Gladbecks Erster Bürger, Ulrich Roland. „Das „Geiseldrama“ gehört zu unserer Stadtgeschichte. Es geht nicht um die Frage, ob uns das gefällt oder nicht, ob wir es verschuldet haben oder nicht. Wir müssen damit leben, so wie viele andere Städte mit negativen Ereignissen auch“, sagt der Bürgermeister. „Ich hoffe es wird deutlich, dass Gladbeck nur der Ausgangspunkt der weiteren tragischen Entwicklung war. Für uns Gladbeckerinnen und Gladbecker ist es natürlich schade, dass unsere schöne, lebenswerte Stadt seit 30 Jahren immer wieder mit diesen schrecklichen Taten in Verbindung gebracht wird.“
 

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Scharfschützen nehmen die Geiselnehmer ins Visier – dürfen aber nicht abdrücken.
Foto: © ARD Degeto/Ziegler Film/Martin Valentin Menke

Dokumentation läuft im Anschluss

Anschließend zeigt die ARD am 8. März um 21.45 Uhr die Dokumentation „Das Geiseldrama von Gladbeck – Danach war alles anders“ von Radio Bremen. Die Dokumentation fokussiert die persönliche, ganz individuelle Perspektive der Opfer, ihrer Angehörigen und weiterer beteiligter Akteure des Geiseldramas im Sommer 1988.

Tatiana De Giorgi ist heute 39 Jahre alt, verheiratet und hat vier Kinder. Nach Bremen ist sie nie mehr zurückgekehrt. Bis heute verfolgen sie die Bilder ihres sterbenden Bruders, ihre eigene Todesangst: „Ich habe mich danach völlig verändert. Ich verschloss mich in mir selbst, schlief nachts nicht mehr. Bis heute wache ich nachts von meinen Albträumen auf, weil meine Hände und Beine so stark zittern.“ Kurz nach dem Drama ging die Familie De Giorgi zurück nach Italien. Vor allem Mutter Giuseppina konnte das Leben in Bremen nicht mehr ertragen, zu viel erinnerte sie an Emanuele: „Wäre er an einer Krankheit gestorben, hätte ich es mit den Jahren vielleicht verkraftet. Aber so wache ich nachts auf und denke an mein Kind. Immer.“ Ihren Ehemann Aldo plagt seit 30 Jahren die Frage nach dem Warum: „Seitdem denke ich an Rache. Aber dann gehe ich zum Grab meines Sohnes, schaue auf sein Foto und es ist so, als wolle er mir sagen: Papa, an dem Tag, wo warst du da?“

Johnny Bastiampillai war gerade mit seiner Mutter aus dem Bürgerkrieg in Sri Lanka geflohen. Mit seiner Mutter, seiner Cousine, Onkel und Tanten hatte er eine Trauerfeier besucht, als die Gangster den Bus enterten. „Die Angst, dass man einen Menschen sterben sieht und dass man auch derjenige hätte sein können, haben alle im Bus gehabt. Mich hat das geprägt.“
Silke Bischoff starb im Kugelhagel auf der A3: Rösner erschoss sie während des SEK-Zugriffs. Ihre Mutter Karin konstatiert verbittert die Sinnlosigkeit von Silkes Tod: „Meine Tochter hätte nicht sterben müssen. Ich empfinde nur Wut und Hass. Das bleibt. Ich habe das immer noch vor Augen, ich träume davon. Das bleibt in mir.“
 

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Eine verpasste Chance bei der Rettung der Geiseln: Bremens Innensenator (Stephan Kampwirth) verhindert finale Rettungsschüsse.
Foto: © ARD Degeto/Ziegler Film/Martin Valentin Menke

Fragen über Fragen

Neben dem Portrait der Überlebenden und der Opfer zeichnet der Film auch das Versagen von Sicherheitskräften und Medien nach: Wie konnte es zu dieser Tragödie kommen und warum wurde die Presse bei ihrer voyeuristischen Berichterstattung nicht gestoppt? Wie gehen die Protagonisten heute mit dem Erlebten um? Wie hat es den weiteren Verlauf ihrer Leben beeinflusst? Welche Rolle spielen die großen Fragen nach Schuld und Sühne, nach Tod und Leben? Und was gibt Hoffnung, lässt Menschen weitermachen?
Die Dokumentation zeigt auch, welche Spuren traumatische Erlebnisse in den Seelen und Lebensläufen der Betroffenen hinterlassen. In Zeiten von Terroranschlägen, politisch aufgeheizten Gefahrenlagen und medialer Omnipräsenz können die Tage im Sommer 1988 als Blaupause für heutige Ausnahmezustände gesehen werden. Der Film gibt den Menschen und Geschichten hinter dem Ereignis ein Gesicht. js

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