Kirchhellen

Überraschungs-Hochzeit

Eine Kolumne von Stina Schulzke

Kirchhellen -

Nichts kann einem schneller die Laune verderben, als ein Wecker, der morgens klingelt, um einen daran zu erinnern, dass man jetzt erwachsen ist und für seine Videospiele arbeiten gehen muss. Ich beneide Menschen zutiefst, die morgens wach werden, beim ersten Weckerklingeln aufstehen und dann erstmal eine Runde joggen gehen, um dann fit und vital mit einem ausgewogenen Frühstück in den Arbeitstag zu starten.


Wenn ich morgens von meinem Wecker aus dem Schlaf geprügelt werde, dann robbe ich so gerade mit meiner Halbschlafenergie zum Schreibtisch und weine in meinen Tee hinein. Vergangenen Freitag war es ein besonders erbärmlicher Anblick, da ich normalerweise (aus gutem Grund) in der Spätschicht arbeite und mir meine erste Woche „normales Erwachsenenleben“ nicht so gut bekommen ist.

Ich sitze also am Schreibtisch und beschimpfe wüst meinen Computer, er hat nicht einmal etwas falsch gemacht, ich wollte nur jemanden beschimpfen… Als sich mein Freund neben mich an seinen Arbeitsplatz setzt und mir mit einem Honigkuchen-Grinsen verkündet, dass er heute nur bis 12 Uhr arbeiten müsse… Wie gut, dass ich so ein ausgeglichenes und friedliches Naturell habe, vor allem am Morgen, so habe ich ihn nur mit seinem Laptop fluchend ins Wohnzimmer verbannt, statt ihn mit seinem Laptop abzuwerfen.

Meine Schicht ging bis 14 Uhr und dieser Arbeitstag hatte wirklich nichts für mich übrig! Irgendwann gegen 13 Uhr kam mein Freund ins Zimmer und sagte, er ginge kurz einkaufen… Ich sah ihn bis 15 Uhr nicht mehr wieder. Egal! So konnte ich nach der Arbeit schon einmal bequem ins Wochenende starten! Ich schlüpfte in meinen Erwachsenen-Pyjama, knuddelte mich in eine Decke und durchstöberte das Internet nach Horrorfilmen für den bevorstehenden Spooktober!

Um 15 Uhr kam dann mein Freund vom Einkaufen zurück und musterte mich in meinen super Swag-Klamotten… Ich war dezent underdressed, denn freitags war Hochzeits-Übungs-Tag… Was ist ein Hochzeits-Übungs-Tag!? Ich bin froh, dass Ihr fragt. Um mit meiner Angststörung wirklich Teil von gesellschaftlichen Anlässen zu sein, müssen wir manchmal etwas tricksen, um das Ziel zu erreichen. Da ich panische Angst davor habe, feste Termine zu machen, denn es könnte mir ja an dem Tag schlecht gehen und ich würde damit alles kaputt machen… plant und terminiert mein Freund wichtige Ereignisse wie Arztbesuche etc., damit ich nicht Tagelang nachts wach liege und mich verrückt mache. Da eine Hochzeit noch einmal etwas aufregender und stressiger ist als ein Friseurbesuch, haben wir daher zusätzlich beschlossen, das Ganze zu üben, in dem wir jeden Freitag eine Stunde in voller Hochzeitsmontur durchs Dorf fahren und anschließend für eine Cola ins Brauhaus gehen…

Nur leider hatte ich darauf an diesem Freitag so überhaupt keine Lust! Aber abgemacht ist abgemacht, also machte ich mir die Haare, quetschte mich in mein selbstgenähtes Kleid und feilschte wie ein Kind, das noch nicht ins Bett möchte, darum, meine flauschig warmen Uggs tragen zu dürfen statt der engen Hochzeitsschuhe. Ich verlor… wie alle Kinder, die später ins Bett wollen… und fügte mich meinem Schicksal.

Als wir dann im Auto saßen, war ich dezent mopperig. Ich fühlte mich null wie eine Braut, eher wie ein müder Hamster, den man aus seinem Haus gezerrt hat, um ihn in ein Tütü zu stecken… Ich beschloss, ein Blumenstrauß muss her! Immerhin ist „Blumen“ meine Lieblingsfarbe und eine Braut verdient einen Blumenstrauß, sogar eine Probebraut! Und wenn nur als Entschädigung für die fehlenden Uggs! Also steuerten wir meinen favorisierten Dorf -Floristen an. In voller Montur stapfen wir in den Laden und stehen vor zwei verdächtig unüberraschten Frauen, die mich nach meinen Strauß-Wünschen fragen… rückblickend hätte das meine erste rote Flagge sein sollen! Aber zu meinem Leidwesen bin ich so naiv wie ein Teddybär und habe das Detektiv-Geschick eines Streichholzes… Also erzähle ich ihr meine Wünsche und gucke mich geduldig im Laden um, während die Floristin versucht, einen Strauß in der Farbe „mir egal, vielleicht herbstlich“ und den Blumen „die da“ zusammenzubinden. Da sehe ich es! Luftballons! Wenn ich jemals auch nur ein bisschen erwachsen war… Ab da war ich es nicht mehr! Ich kaufte mir einen blauen Luftballon zum Fliegen und einen Pferdeluftballon, der auf dem Boden läuft… Ich bereue nichts! Ich würde es immer wieder so machen!

Deshalb hat es mir auch nichts ausgemacht, das Pferd namens „Cinnamon Sprinkles“ auf einen Ausflug mit ins Brauhaus zu nehmen. Als wir dann ins Brauhaus hereinkamen, standen plötzlich Familie, Freunde, Trauzeugen und Standesbeamtin vor mir… Mein Kopf hat eine kleine Ewigkeit gebraucht, um zu verstehen, was hier los war. Mein erster Reflex war:„oh Mist, hier ist eine Hochzeit, schnell weg. Wir stören die Menschen“ … bis ich realisiert habe, dass es meine Hochzeit ist!

Ich war überwältigt! Die Trauung war wunderschön und im absolut kleinen Rahmen. Jeder wusste um meine Situation, weshalb alles sehr entspannt war und auch die Standesbeamtin ihr Programm an die Situation angepasst hat. Am Ende standen wir alle in diesem kleinen Stübchen im Brauhaus und die Puzzleteile fügten sich zusammen. Alle hatten sich an der Planung beteiligt und jeder hatte einen kleinen Teil dazu beigetragen. Die Floristinnen, die ein paar Minuten vorher noch meinen Brautstrauß gebunden hatten, hatten ein paar Stunden zuvor kleine Blumengestecke, Ansteckblumen und einen Brautstrauß angefertigt. Mein Mann erzählte, wie panisch er war, als ich einen Blumenstrauß wollte, aber die beiden Floristinnen hatten völlig dicht gehalten. Meine Trauzeugin hat Luftballons besorgt und eine Kamera mitgebracht für Hochzeitsfotos.

Sie alle hatten eine kleine Hochzeit auf die Beine gestellt, ohne dass ich auch nur einen Verdacht geschöpft hatte! Das Leben mit einer Angststörung in dem Ausmaß, wie die meine, kann wirklich eine Tortur sein, aber mit solch einer Familie und Freunden an seiner Seite… habe ich das größte Glück der Welt bei mir.

Ein besonderer Dank geht an Frau Schmidt vom Standesamt Bottrop, die mit meinem Mann zusammen eine Möglichkeit gefunden hat, wie wir trotz der komplizierten Situation heiraten können, an die Floristinnen von Blütenzauber, die das Geheimnis bewahrt haben, an meinen lieben Chef, der sich so für uns eingesetzt und gekämpft hat, als wir selbst nicht mehr weiter wussten, an Carola von Fräulein Wunder, von der ich Schuhe habe, die fast so bequem waren wie meine Uggs, an die Goldschmiede Dietz, die ganz spontan zwei wunderschöne Eheringe für uns gefertigt hat, nachdem unsere eigentlichen Hochzeitsringe nicht angekommen waren, an meine neue Familie und meine Trauzeugin, die sich ein Bein ausgerissen haben, damit ich meins behalten darf und natürlich an meinen Ehemann! Du gibst mir jeden Tag das Gefühl perfekt zu sein, auch wenn ich mich nicht so fühle.

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Stina Schulzke

Stina Schulzke

s.schulzke@aureus.de

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