Der Hypnotiseur oder Nie so glücklich wie im Reich der Gedanken
Jakob Hein, Kiepenheuer & Witsch-Verlag, 20 Euro, Rezension von Daniela Maifrini
Lieselotte Sawidski wohnt im kleinen Dorf Soldin im unteren Odertal zu Zeiten der DDR. Jeder weiß alles über jeden, alles geht seinen sozialistischen Gang. Doch Lieselotte weiß über einen Dorfbewohner zu berichten, der ganz unerhörte Ereignisse in Gang gesetzt hat: Micha!
Micha wird von seinen Eltern bei der Großmutter zurückgelassen und wächst auf deren Bauernhof auf. Er ist ein normales Kind, ein normaler Jugendlicher – bis er zum Militärdienst bei der NVA eingezogen wird. Hier verändert er sich und kehrt als komplett lethargischer Nichtsnutz zurück nach Soldin. Er weiß nicht, was er mit seinem Leben anfangen soll und versucht, einen Studienplatz für Psychologie zu ergattern, was nach dem üblich langwierigen Procedere in der DDR auch gelingt. Doch auch hier versagt er und bricht ab. Das Einzige, was er aus dem Studium mitnimmt, ist eine profunde Ausbildung in Hypnose, die ein sonderbarer Professor außer der Reihe angeboten hatte. Noch orientierungsloser als zuvor kehrt er in das Dorf zurück und lebt bei seiner Oma, die jedoch nach kurzer Zeit stirbt, sodass Micha mit dem großen Hof zurückbleibt und keinen Broterwerb hat. Ein kleines Gekungel mit der örtlichen LPG sichert ihn minimal ab, doch er lebt in bitterer Armut.
Es keimt dann in Berliner Kreisen das Gerücht auf, dass Micha diese Gabe der Hypnose besitzt, und dass er einem so virtuelle Westreisen ermöglichen könne.
Anika aus Lichterfelde ist eine der Ersten, die sich ins Odertal begeben und die dort ihre lang erträumte Reise nach Paris „antritt“, wo sie eine rosarote Liebesbeziehung mit Alain Delon erlebt und die Stadt in ihren schönsten Farben erkundet. Viele weitere „Westreisende“ folgen, und Anika, die als Sekretärin in einem Farben-Kombinat über extrem ausgebildetes Organisationstalent verfügt, beschließt, diese ganze Sache mal so richtig in Schwung zu bringen. Ein Tanz auf der Rasierklinge, denn dass diese Westreisen natürlich nicht unbeobachtet bleiben und dem Regime ganz und gar nicht in den Kram passen, ist jedem klar...
Ein kurzweiliges Gedankenspiel über Menschen, die sich ins „innere Exil“ flüchten, ein Hoch auf den Satz „Die Gedanken sind frei“.
„Was mich besonders gefreut hat, ist die Tatsache, dass die Lebensumstände in der DDR zwar als schwierig und natürlich auch kritikwürdig benannt werden, dass aber in der Zeit nach der Wende auch sehr viele Punkte in der nun bundesdeutschen Kultur angeprangert werden, wie beispielsweise die mangelnde Solidarität untereinander, der nutzlose Konsumrausch oder der leichtfertige Umgang mit der Freiheit“, rezensiert Daniela Maifrini.
Leichenschilf
Anna Jansson, Blanvalet-Verlag, 11 Euro, Rezension von Kathrin Allkemper
Polizeikommissar Kristoffer Bark hat vor fünf Jahren seine Tochter Vera verloren. Ihre Leiche wurde allerdings nie gefunden. Daher kann er auch nicht wirklich mit ihrem Tod abschließen und nach vorne schauen. Stattdessen schleicht er jedes Jahr an Karfreitag um den See herum, an dem sie kurz vor ihrem Verschwinden ihren Junggesellinnenabschied gefeiert hat. Immer wieder sucht Bark nach neuen Hinweisen und wird von den Bewohnern des Ortes schon als der schrullige Kommissar betitelt. Tatsächlich gibt der See eines Tages eine Leiche frei, die Barks Tochter zum Verwechseln ähnlich sieht und ihn darin bestärkt, dass er die Ermittlungen wieder offiziell aufnehmen muss.
Was wissen Rasmus, der damalige Verlobte seiner Tochter und Denise, eine Freundin aus der Jugendzeit, über das Verschwinden von Vera? Kristoffer Bark verhält sich für einen Polizisten manchmal ziemlich unpassend, aufbrausend und übergriffig, aber man kann den Druck nachempfinden, unter dem er steht. Er möchte endlich wissen, was damals geschah, nicht nur für sich, sondern auch für Veras Mutter, die seitdem Alkohol und Tabletten konsumiert und sich nach und nach zugrunde richtet.
Auftakt zu einer neuen schwedischen Krimiserie!